Atem und Klang - unsere (un)sichtbaren Begleiter

Lass uns unsere Reise mit einer Tatsache beginnen, die uns allen bekannt ist: Unser Körper besteht zum Großteil aus Wasser. Das Wasser, das durch unseren Körper zirkuliert, ist ein Leiter für Schall. Wenn wir uns entspannen, Muskelverspannungen lösen und unseren Geist beruhigen, bereiten wir uns darauf vor, die Vorteile von Schwingungen tiefer zu empfangen.

Denke einmal an die Vorstellung, dass Schallschwingungen den menschlichen Körper durchdringen. Wenn wir hören, wie ein Auto vorbeifährt, wissen wir, dass sich diese Schwingungen auch durch feste Materie bewegen können – denn selbst mit geschlossenen Fenstern spüren wir, was draußen passiert.

Das Brummen eines Lastwagens kann den Boden unter unseren Füßen beben lassen und ein Glas Wasser zum Vibrieren bringen. Schwingungen durchdringen nicht nur Glas, Holz und Stein, sondern auch Fleisch und Knochen.

Ob wir nun über Schwerkraft, Hitze, Radiowellen oder die innere Welt unserer Gedanken und Gefühle sprechen: Unsichtbare Schwingungen reisen nicht nur durch den Raum, sondern beeinflussen auch Zellen, Molekularstrukturen, unsere DNA – und damit auch unsere Bewusstseinszustände.

Das geschieht, wenn wir an einem Ort zusammenkommen, an dem Achtsamkeit und Musik die Energie eines Raumes in etwas Heiliges verwandeln. Es liegt etwas fast Magisches in der Kraft der Musik, die wir in einer Atemreise erleben. Sie wirkt als treibende Kraft der Energie. Musik schöpft ihre Wirkung aus den Emotionen, die zwischen den Noten liegen, aus den Gefühlen, die wir oft kaum in Worte fassen können. Sie lädt uns ein, tiefer einzutauchen – in einen Raum, in dem wir eine Art Antriebskraft spüren, die über den Verstand hinausgeht.

So wie Stimmen in religiösen Ritualen zu Liedern der Verehrung werden, die uns mit etwas Größerem verbinden. Musik dient in einer Atemreise als Brücke – zwischen Körper und Geist, zwischen Bewusstem und Unbewusstem, zwischen dem, was wir waren, und dem, was wir werden. Sie bewegt sich durch uns wie ein Strom, der leitet, weckt, manchmal aufrüttelt und manchmal sanft trägt. Musik formt die Reise. Sie hält uns – so wie der Atem uns hält. Sie öffnet uns für die Weite der Gefühle und wird zu einer Begleiterin in unserem Streben nach Loslassen, Transformation und Heilung.

Es gibt viele Möglichkeiten, Musik und Klang als Motor solcher Räume zu nutzen. Besonders aufregend für mich ist die dynamische Meditation. Die HU-Meditation, wie sie von dem großen Lehrer Osho vermittelt wird, lädt Teilnehmende dazu ein, die transformierende Kraft von Klang und Vibration durch Bewegung und stimmlichen Ausdruck zu erfahren. Man wird dazu eingeladen, sich von Begrenzungen zu befreien. Die Meditation ist in fünf verschiedene Wellen unterteilt. Jede baut auf der vorherigen auf und setzt somit verborgene Schichten von Erfahrungen frei. Während der HU-Klang den Raum erfüllt, geschieht etwas Bemerkenswertes: Der Körper beginnt zu vibrieren – in Resonanz mit dem Klang. Der Atem vertieft sich ganz natürlich. Er trägt die Energie wie ein Fluss durch den Körper. Mit jedem HU löst sich mehr Spannung, weitere verborgene Schichten werden berührt. Energie baut sich auf – manchmal sanft, manchmal explosiv – und der Körper antwortet ohne bewusstes Zutun.In diesen Momenten zeigte mir mein Körper Bewegungen, die so archaisch waren, dass es sich anfühlte wie ein Echo längst vergangener Zeiten. Hände zittern, Hüften wiegen sich, Stimmen erheben sich, und der Körper entlässt, was der Geist nicht länger festhalten muss.

In diesem Raum werden Atem und Klang zu Werkzeugen der Befreiung. Die Grenzen zwischen Innen und Außen lösen sich auf, und der Körper wird zu einem Instrument – vibrierend, zitternd, erinnernd, loslassend. Ohne Limit, ohne Choreografie, ohne Erwartungen. Es ist ein Sich-Hingeben an pure Energie. Und während wir uns hingeben, verschiebt sich etwas – unsere Aufmerksamkeit, unsere Wahrnehmung, die Art, wie wir dem Leben begegnen. Worauf wir unseren Fokus richten, prägt unsere Erfahrung.

Doch was ist mit den Klängen, die wir nicht hören können? Den Frequenzen, die durch uns hindurchziehen, den Vibrationen, die uns ebenso formen wie hörbarer Schall? Denn menschliche Verbindung lebt auch im Nichtgesagten. Information wird durch Körpersprache, Gesichtsausdruck und eine Vielzahl nonverbaler, chemischer, magnetischer und elektrischer Signale übermittelt.

Ich habe diese Erfahrung während eines Chakraseminars gemacht. Die Aufgabe war, sich mit einem Partner zusammenzutun und sich aus entgegengesetzten Richtungen langsam anzunähern. Meine Partnerin stand still, während ich mich ihr in aller Langsamkeit näherte. Ihre Aufgabe war es, vollständig in sich hineinzuspüren und mir nonverbal zu signalisieren, wann ich stoppen sollte. Je näher ich kam, desto feiner wurden die Zeichen. Ihr Atem wurde schneller, ihre Arme spannten sich leicht an. Als ich dieses Verhalten bemerkte, blieb ich stehen. Ich konnte spüren, dass sich in ihr ein Unbehagen regte. Nach der Übung sprachen wir darüber, und sie sagte: „Wenn du nur noch einen Schritt näher gekommen wärst, wäre es zu viel gewesen.“ Ich war fasziniert. Es zeigte mir, dass das Leben genauso sehr durch das definiert ist, was wir nicht hören, wie durch das, was wir hören.

Wenn wir in den Atem eintreten, verbinden wir uns nicht nur mit einem persönlichen Rhythmus. Wir stimmen uns ein auf die Zyklen, die alles Lebendige durchziehen – das Steigen und Fallen, das Geben und Nehmen, den Fluss, der alles zusammenhält. Regenerative Prozesse laden uns ein, die Natur nicht als etwas Getrenntes zu betrachten, sondern als Spiegel.

Der Atem lehrt uns, leise zu werden, hinzuhören, die feinen Verschiebungen in uns wahrzunehmen – die Vibrationen, die Frequenzen, die uns oft entgehen. Und vielleicht, wenn wir genau hinhören, spüren wir, dass unsere inneren Rhythmen nicht getrennt sind von den Ökosystemen, in denen wir uns täglich bewegen. Wenn eine transformative Atemsitzung stattfindet, wird dies in der Atmosphäre spürbar. Ob man nun vorher oder nachher im Raum anwesend war – eine Veränderung ist spürbar. Man muss nicht anwesend sein, um zu bezeugen, dass Veränderung stattgefunden hat. Man kann es spüren.

Vielleicht ist es nicht die Kunst, jede Veränderung zu beobachten,

sondern uns als Teil eines Wandels zu erfahren, der größer ist als wir selbst.

Unser Sein ist untrennbar verbunden mit dem Körper der Erde, dem Kosmos, allem, was in der Natur entsteht.

2022 veranstaltete der Botanische Garten der Universität Wien ein Event mit dem Titel „Of Breath and Sound“. Künstlerinnen wie Angélica Castelló und Natalia Domínguez Rangel kombinierten Naturklänge, elektronische Töne und die besondere Akustik des Tropenhauses zu einem einzigartigen Hörerlebnis. Sie untersuchten die Beziehung zwischen Atem, Klang und Umwelt und betonten, dass unser Dasein fundamental mit dem Leben unzähliger anderer Lebewesen verflochten ist.

Im Altgriechischen gibt es das Konzept, das später als ‚Musica Universalis‘ – die Sphärenmusik – bezeichnet wurde. Pythagoras und Aristoteles gingen davon aus, dass alle rotierenden Himmelskörper – wie Sonne, Mond und andere Planeten – in ihrer Bewegung Klänge ins Universum senden. Dies ergibt einen harmonischen Klang, der für uns Menschen nicht hörbar ist. Johannes Kepler jedoch behauptete, dass unsere Seele diesen Klang sehr wohl wahrnehmen könne. Schon im Mittelalter versuchten Menschen, das musikalische Universum sichtbar zu machen. Es gibt Darstellungen, in denen die Planeten wie Töne auf einer unsichtbaren Saite angeordnet sind – verbunden durch einen Monochord. Ein Symbol für ewige Harmonie.

Und so stehen wir am Ende dieser Reise, die uns durch Schwingungen, durch Körperräume, durch tiefe Atemzüge und feine Zwischenräume geführt hat – bis hin in das Universum, wo Bewegung Klang wird und Klang Bedeutung trägt.

Ich denke, genau das ist das Geschenk des Atems: dass er uns durch das Unsichtbare führt, durch das, was nicht laut ist, aber tief.

Dieser Artikel wurde in der Atman Vereins Zeitung veröffentlicht.

Quellen:

Universität Wien, Botanischer Garten: Of Breath and Sound - https://www.univie.ac.at/beispiel-link

Elements of Sound - Adrian DiMatteo

Musica Universalis - https://www.wikiwand.com/de/articles/Sphärenharmonie

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Die Kraft des Atems - vom festhalten zum loslassen